Eine Sommerstory: Wie der Colorado River zurückkam

Der Pulse flow, ein Jahrhundert Projekt, auch durch einen privaten Kraftakt.

Liebe Leserinnen und Leser,
manchmal tut es gut, über den Tellerrand zu blicken. Gerade im Sommer, wenn Zeit ist, Geschichten zu lesen, die Mut machen – über das, was möglich ist. Deshalb entführen wir euch heute in den Südwesten der USA und nach Nordmexiko, in ein Gebiet, das über Jahrzehnte verdorrte: das Delta des Colorado River. Und wir erzählen die Geschichte seiner Wiedergeburt – nicht durch ein staatliches Megaprojekt, sondern durch den entschlossenen Einsatz einer Stiftung und vieler engagierter Menschen. Zehn Jahre ist es her, dass der Fluss wieder zum Meer floss. Heute ist das Delta ein lebendiges Symbol für das, was kluge Zusammenarbeit bewirken kann.

Eine Wüste, wo einst Wasser war

Wer in den 1990er-Jahren durch das Colorado River Delta im mexikanischen Bundesstaat Baja California wanderte, sah vor allem eines: Staub. Der große Strom, der über Jahrtausende das riesige Delta mit Süßwasser speiste, kam nicht mehr an. Ein Großteil des Wassers wurde vorher abgezweigt – für Landwirtschaft, Städte wie Phoenix oder Las Vegas, Energiegewinnung. Der Colorado River war übernutzt, kanalisiert, aufgestaut. Was blieb, war ein Schatten seiner selbst. Keine Schilfgürtel, keine Fische, kaum Vögel. Nur trockenes Land, aufgegeben von der Natur.

Doch nicht alle gaben dieses Ökosystem auf. Eine ungewöhnliche Allianz aus NGOs, Wissenschaftlern, US- und mexikanischen Behörden, lokalen Gemeinden – und der Walton Family Foundation – begann, das fast Unmögliche zu denken: Kann man einem toten Fluss neues Leben schenken?

Die Idee eines „Pulse Flow“

Der Schlüssel lag in einem historischen Abkommen: Minute 319, 2012 unterzeichnet im Rahmen eines seit 1944 bestehenden Wasservertrags zwischen den USA und Mexiko. Erstmals sah dieses Zusatzprotokoll vor, dass Umweltinteressen explizit berücksichtigt werden. Der Höhepunkt: Ein „Pulse Flow“, ein kontrollierter Wasserabfluss aus dem Morelos-Damm, der den Colorado River über rund acht Wochen hinweg ins Delta leiten sollte – ähnlich einer natürlichen Frühjahrsschmelze.

Am 23. März 2014 war es so weit. Die Schleusen öffneten sich. Und langsam, Zentimeter für Zentimeter, kehrte das Wasser zurück in das ausgetrocknete Flussbett.

Die Kraft des Augenblicks

Was dann geschah, war mehr als nur ein hydrologisches Experiment. Menschen versammelten sich an den Flussufern. Kinder planschten im Wasser. Gemeinden feierten mit Musik, Essen, Lagerfeuern. Nach Jahrzehnten floss der Colorado River wieder durch sein ursprüngliches Bett – und erreichte am 12. Mai 2014 erstmals seit fast 20 Jahren das Meer.

„Es war wie eine Rückkehr der Seele“, sagte später ein Gemeindevorsteher aus San Luis Río Colorado. Und tatsächlich: Innerhalb weniger Wochen begannen Pflanzen zu keimen, Vögel kehrten zurück, die Luft roch anders. Wissenschaftler stellten fest: Das Wasser drang ins Grundwasser ein, ließ Samen sprießen, schuf temporäre Feuchtbiotope. Die Natur war nicht tot – sie hatte nur gewartet.

Die Rolle der Walton Foundation

Hinter dem Projekt stand nicht allein staatliche Initiative. Eine zentrale Rolle spielte die Walton Family Foundation, gegründet von den Erben des Walmart-Gründers Sam Walton. Bereits seit Jahren unterstützte die Stiftung Umweltschutzinitiativen im Einzugsgebiet des Colorado River. Für das Delta-Projekt finanzierte sie Studien, Monitoring-Programme, lokale Organisationen – und investierte in die Begegnung zwischen Menschen und Natur.

Besonders wichtig war ihr Ansatz der Kooperation: Nicht Konfrontation mit der Landwirtschaft oder dem städtischen Wasserbedarf, sondern Integration. Gemeinsam mit NGOs wie Pronatura Noroeste, Sonoran Institute und der Environmental Defense Fund wurde ein Modell aufgebaut, das zeigt: Naturschutz kann auch Wasser-Nutzung beinhalten – wenn man sich abstimmt.

Neue Methoden für alte Böden

Mit dem zurückkehrenden Wasser kam auch die Chance auf neue Formen der Landwirtschaft. Die Walton Foundation unterstützte lokale Gemeinschaften bei der Einführung agrarökologischer Methoden, etwa beim Anbau mit reduziertem Wasserverbrauch, der Wiederbelebung traditioneller Anbausysteme oder der Renaturierung von Flussufern. So entstanden neue ökonomische Perspektiven – und ein gestärktes Bewusstsein für den Wert gesunder Flusslandschaften.

In den zehn Jahren seit dem Pulse Flow ist viel passiert: In mehreren weiteren Projekten – zuletzt 2021 – wurde wieder Wasser ins Delta geleitet. Es gibt heute über 1200 Hektar revitalisierter Auwälder, Dutzende Rückzugsgebiete für Wasservögel und eine engmaschige Kooperation über Landesgrenzen hinweg.

Ein Fluss wird zur Metapher

Natürlich: Der Colorado River fließt nicht jeden Tag frei bis zum Golf von Kalifornien. Der Kampf um Wasserrechte in Nordamerika ist komplex und hochpolitisch. Auch nach dem spektakulären „Pulse Flow“ 2014 fließt der Colorado River nicht dauerhaft bis zu seiner Mündung im Golf von Kalifornien in Mexiko. In den meisten Jahren wird so viel Wasser auf dem Weg dorthin entnommen, dass am Ende gar nichts mehr übrig bleibt. Städte wie Las Vegas, Phoenix oder Los Angeles, aber auch große Agrarregionen in Kalifornien und Arizona, beziehen ihr Wasser aus dem Fluss. Deshalb erreicht er sein natürliches Ende – das Delta – nur bei Sonderaktionen oder nach besonders regenreichen Jahren.

Aber der Pulse Flow von 2014 hat etwas verändert – im Denken der Menschen.

Er hat gezeigt, was möglich ist, wenn sich Staat, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und private Stiftungen zusammentun. Und er hat ein internationales Vorbild geschaffen: Wasser als Brücke zwischen Mensch und Natur – nicht als Konfliktstoff.

Was wir daraus lernen können

Für uns als River and Nature Trust ist diese Geschichte mehr als eine schöne Sommerlektüre. Sie ist ein Aufruf. Denn auch in Europa, auch in Österreich, stehen viele Flüsse unter Druck, doch wir sehen: Wo der Wille zur Kooperation besteht, kann selbst ein verlorenes Delta wieder atmen.

Deshalb schauen wir über den Atlantik – und zurück zu uns nach Österreich. Für genau solche Allianzen, die der Balance der Arten dienen, wollen wir uns stark machen. Wir geben keine Art unter Wasser verloren. Es ist die Natur, die immer wieder zeigt: Gib mir nur eine Chance, und ich komme zurück.

Quellen

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